Mittwoch, 20. Oktober 2010

TOCHTERLEBEN.

Letztens hab ich etwas gefunden.
Einen Hefter. Blau und alt, mit vergilbten Blättern, voll geschrieben...handschriftlich oder mit Schreibmaschiene. Aber meistens handschriftlich.
Du warst jung und Mama war jung.
Man konnte sehen, nein, eher lesen. Ihr habt euch geliebt.
Jung und frei und unbeschwert, ein bisschen wie ich, wenn ich liebe.
Mutig und voll mit großen Wörtern.
Vermissen, Petting, Sex, Liebe – ja, das hast du oft gesagt.
Aber „Träume“, dass habe ich am meisten gelesen.
Manchmal, ganz manchmal, ohne zu wissen, was Mama Dir geschrieben hat, wusste ich, was sie fühlte. Was sie meinte, wenn sie von „Enttäuschung“, „Wut“ und „Egoismus“ sprach ...zumindest konnte man es daraus schließen, deinen Briefen nach zu urteilen.
Du hast dich viel entschuldigt, viel, sehr viel.
Zu viel, wenn du mich fragst.
Das Schlimmste ist, sie hat dir zu viel verziehen.
So viele Jahre lang.
Hin und her. Hin und her.
Ich hätte das nicht mitgemacht, wirklich nicht.
„Du hast auch keine Ahnung von Liebe.“, würdest du wahrscheinlich sagen, wenn du das liest. Ja, vielleicht hab ich keine Ahnung.
Ja und?
Aber wenn es weh tut, ist es schlecht, so viel weiß ich.
Und Mama hat mir oft erzählt, dass es weh getan hat. Aber sie hat Dich geliebt.
Verstehen, tut mir leid, kann ich das nicht.
Und dann 1991/1992 wird sie schwanger. Und was machst Du? Du verpisst Dich.
„Du hast doch gar keine Ahnung, wie es damals war bei mir und bei ihr. Du kennst die Situation und Geschichte nicht.“, würdest du wahrscheinlich sagen, wenn du das liest.
Ja und?
Vielleicht kenn ich Deine Situation und Geschichte nicht.
Aber ich kenn meine, dass reicht.

„Danke für die Fotos von A. Ich denke, dass ich sie noch nicht kennenlernen möchte. Der richtige Zeitpunkt wird sich schon noch ergeben. Grüße, G.“
Das war 1994. Ich war 2 Jahre alt und wenn ich diese Sätze lese, könnte ich kotzen.


Lass mich nachdenken. Wann wer der „richtige Zeitpunkt“? Achja, 2005. Ich war 13.
Ich war in Pubertät, mit mir selbst mehr als überfordert.
Es könnte gestern gewesen sein, ich weiß es genau.
Es war ein Samstag, so ca. gegen 13 Uhr. Mein Handy klingelte, eine Nummer auf dem Display, die ich nicht kannte.
„Hallo A., hier ist G. Stör ich Dich? Hast du Zeit zu telefonieren?“
In dem Moment habe ich meine Mama gehasst, wie konnte sie es wagen, meine Handynummer an jemanden wie Dich weiterzugeben?
Sei froh, dass ich so gut erzogen bin, ich hätte fast wieder aufgelegt.
Schlechter kann man Kennenlern-Geschichten kaum timen.
Und was ich in den nächsten 5 Jahre feststellen musste war, dass niemand schlechter timen konnte, als Du.

Ja, ich habe Dir eine Chance gegeben.
Habe dich besucht in Hannover und Berlin.
Aber was Du nie geworden bist, ist ein Vater für mich.
Jedes Mal, wenn ich wieder einige Tage bei dir verbracht habe, kam ich nach Hause und das Erste, was ich meiner Mama sagte, war, dass ich dich erstmal nicht wiedersehen will.
Sie hat dann gelacht und immer gefragt, wie schlimm es gewesen sei. Ich konnte es nie begründen, aber ich fühlte und fühle mich bei dir einfach nicht wohl.
Wenn ich aus dem Zug steige, war mein erster Gedanke oft, dass du mich bitte nicht umarmen solltest. Es gibt für mich nicht unangenehmeres und etwas, dass ich sich fälschlicher anfühlt, als das.
Warum ich so manche Male wiedergekommen bin?
Ja, dass kann ich Dir sagen.
Ich wollte Dir eine Chance geben.
Ich wollte, dass du wie ein Vater für mich wirst.
Wie ich ihn früher immer haben wollte, als kleines Mädchen.
Einen Vater, wie alle meine Freundinnen ihn hatten, aber so oft musste ich festellen, ich werde ihn nie haben und hatte ihn nie.

Als kleines Mädchen, habe ich oft Bilder für dich gemalt. „Für Papa.“, stand da immer drauf.
Ich habe sie dann unter mein Kopfkissen gelegt und davon geträumt, dass eine Fee kommt, sie mitnimmt und Dir bringt.
Die Fee kam nie und die Bilder wanderten in den Müll.
Früher war ich traurig, heute bin ich froh, dass keine Fee kam.
„Papa“ - dass ist für mich ein großes Wort. Nein, eigentlich kein Wort, fast ein Titel.
Ich hab schon so oft wegen dir geweint, in den letzten Jahren, du hast es nicht verdient, betitelt zu werden. Ich habe das Wort, den Titel, noch nie zu jemandem gesagt und ich weiß, dass es nie zu jemandem sagen werde...und es mag sich vielleicht nicht so anhören, aber ich bin froh darüber.

Warum ich geweint habe, ja das kann ich Dir sagen.
Nicht, weil ich traurig war. Wegen Dir bin ich nicht traurig, bild dir das ja nicht ein.
Ich war wütend. So oft. So unfassbar wütend.

Mein 18. Geburtstag. Ein so unglaublich wichtiger Tag für mich, auf den ich mich so unglaublich gefreut habe.
Ich habe Dir lange vorher bescheid gesagt, dass ich ihn feiern will und möchte, dass du dabei bist.
Aber nein, es war alles andere immer wichtiger. Arbeit, Freundin, Urlaub.
Du hattest 13 Jahre ohne mich! Du warst nie, nie, nie auf einem meiner Geburtstage und der Tag, der für mich so wichtig ist, ist Dir so egal.
Du warst nicht da.
13 Jahre nicht.
Und erst recht nicht, an meinem 18. Geburtstag.
Du bist so erbärmlich.

Ja, und noch was. Der Tag vor 4 Wochen. Ich hätte dir einen Award verleihen sollen, den „Ich hasse Dich“- Award, für übermäßigen Egoismus.
Ich wollte Dich besuchen und ich hab mich wirklich gefreut, deine neue Freundin kennen zu lernen, aber nein. Ich habe einen Tag länger gebucht, als wir besprochen haben.
Versehentlich, ich hab es verplant.

„A., du musst lernen, dich an Regeln und Abmachungen zu halten. Wir haben auch noch Pläne.“

Halt deine hässliche Fresse. Hättest du vor mir gestanden und das gesagt, Du hättest Dir eine gefangen. So viele unglaublich dumme Wörter in einer Sms. So viel Egoismus und Unverständlichkeit. So viel Ekel und Hass, habe ich noch nie empfunden.
Ich habe Dir geantwortet, dass es mir leid tut. Es hätte mir nicht leid tun müssen, aber ich wollte, dass du ruhig bist.
Dass du sowas nicht nochmal sagst.
Wie kannst du es wagen, wirklich, wir kannst du nur.
Ich habe Dir geschrieben, dass ich gerade keinen Nerv dazu habe, über das zu dirkutieren, ich habe andere Sachen im Kopf.

„Wahrscheinlich hast du auch andere Sachen im Kopf, wenn wir telefonieren. Du musst lernen Dich an Regeln und Abmachungen zu halten.“

Ich weiß nicht, was Du an meinem Leben nicht verstanden hast.
Ich weiß nicht, wo Du das beurteilen kannst, ob ich mich an Regeln und Abmachungen halten kann.
Ich weiß nicht, wie Du überhaupt über mich urteilen kannst.
Aber ich weiß, dass Du am allerwenigesten in der Lage bist, über mich zu urteilen.
Du kennst mich nicht, kanntest mich nie und wirst mich auch nicht kennen lernen.

Ich hab das meinen Freunden erzählt, wie ich ihnen schon so viel, von Dir erzählt habe.
„Also, wenn ich meinem Vater sage, ich bleibe einen Tag länger, wenn ich ihn besuche, würde er vor Freude Luftsprünge machen.“, sagte meine liebe M.
„Und wenn ich meinem Erzeuger sage, ich bleibe einen Tag länger, bin ich unreif und wahrscheinlich verschenkt er einen Tag zu viel seines kostbaren Lebens an mich.“, sagte ich.
„Vergiss den Wichser.“, sagte T.
„Ja genau, vergiss ihn. Er wollte dich 13 Jahre nicht kennen lernen, er kennt dich bis heute nicht. Er hat nicht verdient, dass du seine Tochter bist. Du bist ein kostbares Mädchen. Wer das nicht versteht, soll sich verpissen.“, sagte S.

Wenn du das hier irgendwann einmal lesen solltest, dann weißt du jetzt alles.
Und ich weiß jetzt, was Mama meinte, wenn sie von „Enttäuschung“, „Wut“ und „Egoismus“ sprach.
Enttäscht und wütend, dass bin ich. Egoistisch, dass bist Du.

Du wirst denken, ich hab mir das meiste ausgedacht, damit sich die Geschichte schön anhört, damit meine Leser etwas nettes zu Lesen haben. Aber nein, dass die Wahrheit. Ich hätte es viel früher schreiben sollen. Schreiben ist einfacher als reden, Schreiben macht frei.

Ich könnte hier ausfallend werden, vulgär, dich beschimpfen, ich könnte Dich auch anrufen und anschreien. Oder Dir endlich sagen, dass ich seit 4 Jahren rauche und gepierced bin, was ich bis jetzt, immer verheimlicht habe, um das „perfekte Tochter“-Bild nicht zu zerstören.
Aber das bin ich alles nicht. Und gerade im Moment, bin ich Dir auch nicht sicher, ob ich Dir jemals zeigen will, wer ich wirklich bin.
Dafür muss sich vieles ändern.
Ich wäre bereit dazu.
Und ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass Du jemals bereit dazu bist.
Du musst lernen, dich an Regeln und Abmachungen zu halten.
Sonst nichts.

2 Kommentare:

  1. Ich kann nachvollziehen, wie du dich fühlst. Meine Geschichte liest sich fast genauso.

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  2. Ich hab deine Seite 45 Minuten offen gehabt, nebenher telefoniert. Ich habe 45 Minuten versucht meine Freundin abzuwimmeln, nur um endlich herauszufinden was sich hinter dem Titel verbirgt.

    Ich gehe jetzt schlafen.
    Aber danke, dass ich noch etwas so wahres und einfach ehrliches lesen durfte. Ich habe meinen Vater zwar noch, aber meine Cousine die hier wohnt da ihre Mutter vor 10 Jahren gestorben ist hat auch einen Vater der sich selbst zu schade für alles ist.
    Ich kann das also halbverstehen. Aber ehrlich gesagt will sowas garnicht verstehen, wenn du mich verstehst.. <3

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