Montag, 15. November 2010

TOCHTERLEBEN II

Schon fast zwei Monate habe ich nichts mehr von dir gehört.
Vor vier Wochen, als ich den letzten Text an dich geschrieben habe, reichte „erbärmlich“ aus, um zu sagen, was ich über dich denke.
Heute fehlen mir die Worte.
Im Moment zumindest.

Im Englischleistungskurs haben wir letzten über „Personal Identity“ gesprochen. Wir sollten eine Dankesrede schreiben, für den Fall, dass wir mal irgendwann einen Oscar gewinnen würden und darin den Leuten danken, die uns persönlich beeinflusst haben.
Ich habe sie im Unterricht vorgelesen. Sie war schön, flüssig und rund, das wusste ich. Nach der Stunde, bat mich meine Lehrerin um ein persönliches Gespräch.
Ihr sei aufgefallen, dass ich über dich, meinen „Vater“ , kein Wort verloren hätte. Wie unsere familiäre Situation denn sei. Ich antwortete schlicht mit „nicht vorhanden“. Sie war verwundert und meinte, dass man es mir nicht anmerke, dass ich ohne Vater aufgewachen sei. Ich wäre so selbstbewusst, stark und eigenständig. Sie wisse, dass die Frage vielleicht sehr persönlich sei, aber um Konfrontationen in der Zukunft aus dem Weg zu gehen, was das Thema „Vater“ betraf, wollte sie wissen, ob mein Vater verstorben sei.
Fast, ja wirklich fast, hätte ich diese Frage mit „Ja“ beantwortet.
Ich schluckte es gerade rechtzeitig runter und erklärte ihr einfach nur, dass ich keinen Vater bräuchte, um glücklich zu sein. Dieser aber noch lebe, nur für mich gerade im Moment eben nicht.
Sie verabschiedete sich von mir und entschuldigte sich dafür, dass sie mich wütend gemacht hätte, auf Grund dieses Themas.

Mama sagt manchmal, wenn wir uns streiten, dass ich wie Du bin. Sie könnte auch sagen, dass ich nach Kotze stinke oder aussehe, wie ein Haufen Scheiße.
Es kommt aufs Gleiche raus. Und wenn ich rotzig bin, patzig, frech, gemein, dann merke ich, dass ich wie du bin. Manchmal bin ich egoistisch, wie du.
Eingebildet, wie du.
Besserwisserisch, wie du.
Selbstlos, wie du.
Aber ich bin nie, nie, nie, nie so verletztend, selbstliebend, unloyal, wie du.
Ich will gar nicht so sein wie du, ich hab meine Mama lieb, mein ganzes Leben lang.
Nicht so wie du, der dann geht, wenn ihm etwas nicht passt.

Ja ich bin oft wütend. Wütend auf einen Vater, der für mich zu dieser Zeit, in diesem Leben, gerade in diesem Moment, nicht existiert. Es nervt mich, kotzt mich an, regt mich auf, dass mich dieses Thema nicht los lässt.
Wenn ich irgendwann mal eine Dankesrede halten müssen, werde ich dir nicht danken.
Ich könnte es, natürlich, für das Geld was du Mama monatlich überweist, was auch sicherlich die Finanzierung meines Studiums vereinfachen wird.
Aber danken, wegen Geld?
Ich würde es schaffen, ohne dich. Wie ich alles schaffe und geschafft habe, ohne dich.
Falls wir irgendwann noch ein Wort miteinander wechseln sollten, spar dir deine Vätersprüche.
Das Kommentar: „Da muss man eben ein wenig mehr lernen und an der Freizeit reduzieren“, will ich von jemanden wie Dir, in meiner Gegenwart, wegen einer 5 in Mathe, nicht hören. Spar dir dein: „Bei mir zu Hause, in meiner Wohnung, läuft das aber anders.“, spar dir so vieles...

Ja, natürlich bin ich wütend, enttäuscht...aber nicht wegen Dir. Du bist und warst nie mein Lebensmittelpunkt.
Du spielst in meinem Leben keine Rolle. Im Moment zumindest.
Uns verbindet nichts und das ist schon aufgerundet. Im Moment zumindest.
Aber auch denke ich manchmal daran, dass ich gerne wieder die Tochter wäre, aber schon im nächsten Moment dann wieder nicht.
So ist das Leben. C'est la vie.
Verwirrt und verfahren, diese Situation, die Vater-Tochter-Beziehung, die eine hätte werden können, aber nie eine war.
Vielleicht kenn ich dich zu wenig, um das sagen zu können, aber du würdest sagen, es sei meine Schuld, dass gerade alles so ist, wie es ist. Da wäre er dann wieder, dieser Egoistmus.
Und selbst, wenn ich es auch bin, würde ich sagen, dass es unsere Schuld ist.
Vor einem Monat, als ich den letzten Text schrieb, war ich unendlich enttäuscht.

Es war wie Schreien, nur leiser.
Es war wie Schlagen, nur ohne jemanden zu berühren.
Es war wie etwas Sagen, um jemanden zu verletzen.
Es war Absicht und ernst gemeint. Sicherlich hart ausgedrückt, aber wenigstens ehrlich.
Es war das, was ich sagen wollte, was raus musste.
Aber es war nichts, wofür ich mich rechtfertigen muss.

Doch trotzdem, um in einer Dankesrede für den Oscar erwähnt zu werden, braucht es ein wenig mehr.
Ein bisschen weniger ich, mehr wir.
Weniger Vater, mehr Freund.
Weniger alleine, mehr zusammen.
Bis dahin, danke für nichts.
Obwohl, nichts, ist zu wenig.
Sagen wir, danke, für ein bisschen.

2 Kommentare:

  1. A ich liebe deine Geschichten. Hab den Blog ganz vergessen gehabt und grad irgendwo in meinen lesezeichen wieder ausgegraben.
    Aber wolltest du wikrlich "selbstlos" sagen? Das wäre nämlich das gegenteil von "egoistisch".
    Kuss J

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  2. Wow, ich verschlinge deine Texte förmlich. Du schreibst großartig. Schon mal daran gedacht, ein Buch zu veröffentlichen? :) toll! Du hast eine neue Leserin ^^

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